Happy Halloween: Eine süße Halloween Geschichte (besonders für saure Geister)
Süßes oder Saures meine Leser! Da ich mich bis jetzt stolz Autor schimpfe, aber noch kein Buch veröffentlicht habe, gibt es nun exklusiv für Euch eine süße Halloween-Bonusgeschichte. Über Feedback würde ich mich wie immer sehr freuen, bitte nicht zu viel Saures. Vielleicht lernt ihr dann einen dieser Charaktere näher kennen :)
Bis dahin: Viel Spaß bei der Geschichte und: Happy Halloween!
Gruselige Geister im Kerzenschein
Ich hasse Kostüme. Von allen Dingen auf dieser Welt gibt es nichts Schlimmeres. Außer vielleicht mich in einem peinlichen Ganzkörperanzug, der im Schritt unangenehm zwickt. Blöderweise ist heute Halloween. Und da ich Zombies, Geister und Vampire nicht wie in einem Videospiel abknallen kann, bleibe ich zuhause. Versteckt in meinem Zimmer mit mindestens drei Bier und genug Drehtabak für eine ganze Woche. Was sollte schon schiefgehen?
“Beeeeeen”, hallt Becky die Treppe hinauf, “ich bin die Eiskönigin! Los Ben, schau! Beeen!”
Es kostet mich Mühe, meine gemütliche Bettposition aufzugeben. Dennoch trample ich zu meiner kleinen Schwester in die Küche. Ein undefinierbares Leuchten blendet meine verkniffenen Augen. Becky tanzt in einem bodenlangen Glitzerkleid und fuchtelt mit einem für ihre Hände viel zu großen Zauberstab herum, der jetzt in allen Regenbogenfarben blinkt. “Als Eiskönigin musst du mich in mein Reich begleiten,” tönt sie majestätisch. Weil du bist heute mein Diener Ben!”
Sie rückt ihre silberne Plastikkrone zurecht, marschiert zu mir und greift mich an der Hand. “Ich frage dich deshalb nur einmal: Süßes oder Saures?”
“Oh nö, echt nicht.” Mein Gemaule hält Majestät Becky nicht auf.
“Ich bin eine Königin, du darfst nicht Nein sagen.”
Alles in mir krümmt sich vor Abneigung. In der Nachbarschaft umhergehen und klingeln? Was wenn ich irgendeinen Idioten vom Furtberg Gymnasium erwische? Ich könnte eine ihrer total heftigen Partys crashen. Nein, diese dummen Gesichter will ich heute nicht sehen. Während ich meine kleine Schwester hilfesuchend anblicke, kneift sie mir nur in die Wange.
“Du siehst eh so gruselig aus mit deinen Piercings. Also brauchst du keine Verkleidung.”
Ich blecke mit einem Schmollmund das Lippenpiercing. Müssen Kinder immer so verdammt ehrlich sein?
“Na gut, ich machs. Bekomme ich wenigstens etwas von ihrer Beute ab Majestät?”
“Nur wenn du keinen Ärger machst.”
“Ich verspreche es hoch und heilig!”
Sie nickt zufrieden. “Dann beeile dich.”
Schnell greife ich mir meine abgelaufenen Doc Martens und binde sie ausnahmsweise äußerst ordentlich. Becky wirft im nächsten Moment eine schwarze Jacke auf mich, die glücklicherweise noch keinen einzigen Brandfleck hat. Auch sie schnappt sich ihre kleine blaue Jacke, die ideal zum Glitzerkleid passt. Ihre kleinen Pausbäckchen glühen voller Vorfreude, als sie mich zur Tür zerrt.
"Weißt du schon, wo du hin möchtest?", frage ich sie im Laufschritt.
Sie zieht einen zerknüllten Gefrierbeutel aus ihrer Jackentasche und schüttelt sie. “Nur ein paar Häuser, dieser Beutel soll voll werden”.
Kopfschüttelnd folge ich ihr. Ziemlich sicher habe ich ihr heute in dieser Tüte ihr Pausenbrot mitgegeben. So wie die vergangenen Tage auch.
Draußen peitscht mir der kalte Oktoberwind meine rote Strähne aus dem Gesicht. Es ist stockfinster und nebelig, aber dank Beckys Zauberstab sind wir für jeden im Umkreis von zehn Meter erkennbar. Wir spazieren zunächst eine Weile geradeaus. Ab und an passieren wir Häuser mit gruselig geschnitzten Kürbissen, die im Dunklen unheimlich funkeln. Auch ein paar Kindergruppen mit kleinen Zombies, Geistern und Spider-Man-Kostümen kommen an uns vorbei. Meine kleine Schwester summt währenddessen einen Radio-Hit und brabbelt ab und an falsche englische Wörter dazu. Sie interessiert sich nicht für die Gleichaltrigen, deren Eltern uns beim Vorbeigehen grüßen. Wie ein Musterschwiegersohn nicke ich ihnen stattdessen zu oder bringe ein “ebenfalls” über die Lippen. Sonst verhalte ich mich still, damit Becky nicht merkt, dass ich ihren Plan von Anfang an durchschaut habe. Sie will hoch zum Berg, um dort das Halloween-Haus zu sehen. Früher war es eine verlassene Scheune, die niemandem gehört hat. Zumindest sagten das alle. Dann stellte sich heraus, dass sie den Whites gehört und einfach vergessen wurde. Natürlich die Whites. Stell sich das einer vor. So reich, dass man sich nicht mehr an seine viele Immobilien erinnern kann.
“Majestät, darf ich sie fragen, wohin es heute gehen soll? Etwa zum Halloween-Haus?”, frage ich scheinheilig.
Becky verlangsamt ihren Schritt. “Ähm. Nein, wie kommst du darauf?”
"Schwesterlein, du willst da seit Jahren hin und ich wollte dich nie begleiten.”
“Achso. Es ist so…”, druckst sie, “ja Ben, ich möchte da hin. Wenigstens einmal will ich es sehen. Und immer sagst du nein.”
“Aus gutem Grund, jeder ihrer Söhne ist ein Arschloch. Besonders dieser Chad.”
“Ben!”
Der Leuchtstab kracht auf meinen rechten Oberschenkel. "Tschuldigung, ich weiß, ich wollte mich benehmen."
“Mir ist egal, wie du sie findest. Sie haben ein Halloween-Haus und das ist alles, was ich über sie wissen muss. Du kannst ja draußen warten.”
“Auf keinen Fall”. Fest umgreife ich Becky Handgelenk. “Ich habe versprochen, dein Diener zu sein. Also ist dein Wille Gesetz.”
Triumphierend reckt sie den Leuchtstab in die Höhe. “Mir nach, wir sind bald da.”
Komischerweise verspüre ich nicht einmal den Drang, umzukehren. Beckys kindlicher Unwissenheit sei Dank.
Je näher wir Richtung Berg gehen, desto heller wird unsere Umgebung. Der Bordstein wird von einem Feldweg abgelöst, der mit Kieselsteinen aufgeschüttet wurde. Je mehr Fackeln den Wegesrand erleuchtet, desto näher kommt uns eine kleine Holzhütte. Das Knirschen von Stiefel drängt immer lauter in mein Ohr. Am liebsten würde ich gegen mein Magenkribbeln eine Zigarette rauchen, aber ich möchte weitere Schläge von der Königin vermeiden. Becky dreht sich zu mir, in ihrem breit grinsenden Gesicht spiegeln sich die Fackeln der Flammen. “Schau mal, dahinten”, quiekt sie. "Oh! Ich bin so aufgeregt! Wenns arg gruselig ist, musst du mich an der Hand nehmen.”
“Klar doch Majestät, ich verjage jeden Vampir, wenn du es gestattest".
Aufgeschreckt rennt Becky in meine Arme. “Kannst du sie jetzt schon nehmen?”
Sie schiebt ihre kleine Hand auf meine. Mein Lachen verkneife ich mir. Um gruselig zu sein, brauchen die Whites sicherlich keine aufwendigen Kostüme.
Ein leises Zischen lässt Becky zusammen zucken, ehe sie ihren Griff verstärkt. Danach wird unsere Sicht von dichtem Nebel getrübt.
“Eine billige Nebelmaschine Becky. Kein Grund zur Angst. Riechst du nicht die ekelhaft süße Erdbeernote?”
Sie kirchert, doch lässt mich nicht los. Als sich unsere Sicht bessert, bemerke ich um die zwanzig Leute vor uns, die leise flüstern. Es sind ebenfalls Eltern im Schlepptau mit kleinen Zombies und Geistern.
Gemeinsam im Pulk schreiten wir voran in den Eingangsbereich. Er wird von elektrischen Fackeln gesäumt, die die Tür versperren, und eine Nachbildung des Frankenstein-Monsters. Einige Kinder lassen ein Gekreische los, doch Becky bleibt ruhig.
„Was glaubst du erwartet uns hinter der Tür Ben?“, flüstert Becky.
„Weiß nicht. Michael Meyer mit blutiger Kettensäge oder der Typ von Scream vielleicht. Au!“
Den Zepter-Schlag habe ich ebenfalls verdient.
Plötzlich bewegen sich die beiden Fackeln und lösen sich von der Tür.
„Herzlich willkommen, liebe Kinder“, tönt eine verzerrte Stimme durch den Lautsprecher. „Ich habe mich schon gefragt, wann mein Essen kommt”
Keiner der Kinder rührt sich vom Fleck.
„Nun denn, wollen wir anfangen?“
Auf einen Schlag gehen alle Lichter auf einmal aus. Die Kinder vor uns schreien laut auf. Becky vergräbt ihr Gesicht in meiner Jacke. Was sie durch das Zepter-Leuchten nicht gesehen hat ist, wie Mister und Miss White leise zu uns vorpreschen, eher sie auf einen Schalter drücken.
Mindestens vier Scheinwerfer leuchten uns jetzt an. Ein gut aussehender Mittvierziger in Dracula-Kostüm zeigt uns seine spitzen Eckzähne, während eine junge blonde Frau in ihrem ledernen Catwoman-Anzug posiert.
„Willkommen im Halloween-Haus!“, sagen sie betont schaurig. „Tretet ein und lasst euch vom Zauber der Untoten überraschen.“
Gemeinsam drücken Mister und Miss White gegen die Tür und winken allen einladend zu.
Das Scheuneinnere erinnert mich an das seltsame Clubhaus des Furtberg-Gymnasiums. Ein Treffpunkt für die selbsternannte Elite. Zum Glück sagen diese Worte Becky noch rein gar nichts. Sie blickt auf und ich genieße jeden Moment, in dem sie mit großen Augen ihre Umgebung scannt.
Dichte Menschenmengen werden sichtbar, die nur von Kerzenschein beleuchtet werden. Wie Geister schwingen sie hin und her. Eine eingängige Musik dudelt im Hintergrund, zu der Becky sofort mit summt. Sie deutet auf eine längliche Tafel, die von Schüsseln voller Süßigkeiten überquillt. „Wow. Das ist besser, als ich mir vorgestellt habe!“
„Du darfst dir so viel nehmen wie du möchtest“, antwortet ihr eine Dame mit Teufelsohren und schnappt sich eine Salzbrezel.
Triumphierend greift Becky nach ihrem Gefrierbeutel. „Ben, bitte einmal auffüllen!“
Alles in mir sträubt sich dagegen, hier auch nur eine einzige Schokolinse einzupacken. Doch jetzt zählt Beckys Wille, nicht meiner. Drei Schokoriegel, ein paar kleine Packungen Gummibärchen und zwei Lollis landen schließlich in ihrem Beutel. Ich schüttle ihn vor ihrem Gesicht. „Was sagt man Becky?“
„Danke“, antwortet sie ein wenig beschämt.
Lachend reiche ich ihr die Beute, die sie nun kritisch beäugt. Augenscheinlich zufrieden steckt sie ihn wieder in ihre Jackentasche. „Mission erledigt! Wollen wir jetzt noch tanzen?“
„Das war nicht abgemacht!“
„Hallo, du bist mein Diener!“
Meine Augen drehen sich schneller als Becky in ihrem Glitzerkleid. Sie zieht mich trotzdem durch die Menge in eine hell beleuchtete Ecke. Um sie herum tummeln sich gleichaltrige Skelette, Hexen und Vampire, die mehr springen als tanzen. Und Becky stellt sie alle in den Schatten. Egal welchen Move sie jemals im Fernsehen gesehen hat: Peinlich genau zeigt sie jedem ihr ganzes Repertoire. In meiner üblichen Voll-Ekstase wippe ich den Fuß zum Takt. Absichtlich ignoriere ich jeden um uns herum. Ihr Grinsen ist es allemal wert.
Nach einer Weile drückt sich eine verschwitzte Becky an mich.
„Ich kann nicht mehr Ben. Meine Beine tun weh!“
„Also will das Partygirl etwa schon gehen?“
„Ja,'' murmelt sie. „Schließlich müssen wir doch noch meine Beute teilen!“
„Nichts leichter als das.“
Wieder nimmt sie meine Hand und geht mit mir nach draußen. Der Rückweg ist erstaunlich ruhig. Mein Blick weilt auf Becky, die mit trägen Augen dem Licht der Fackeln folgt, bis wir wieder auf einem Gehweg sind.
Zuhause angekommen, lässt sie sich auf den Teppichboden im Wohnzimmer fallen. Im Liegen schüttelt sie ihren Süßigkeitenbeutel aus. “Du kannst einen Schokoriegel haben”. Ihre Stimme wird immer leiser, als sie mir erklärt, für welches Kuscheltier welcher Snack gedacht ist.
“Schon okay, du kannst ihn behalten”, sage ich und schiebe ihr den Riegel wieder zu.
“Nein”. Becky richtet sich auf. “Das ist deine Bezahlung mein Diener. Und auch ein Versprechen.”
“Ein Versprechen für was?”
“Das du mir nächstes Jahr Schuhe besorgst, mit denen ich die ganze Nacht tanzen kann.”
“Wird erledigt Majestät.”
Zufrieden richtet sich Becky auf und drückt mir ihren Zauberstab entgegen. “Gute Nacht, Ben.' Und noch ein schönes Halloween.”
Ich winke ihr lange nach. Dass noch Glitzerkonfetti von der Tanzfläche und braune Kastanienblätter in ihrer Schleppe hängen,verrate ich ihr wahrscheinlich erst nächstes Halloween.